Berlin, im Sommer 2018.
Es ist ein kleines Cafe am Rande der Stadt, weitab vom Touristentrubel, in dem ich Dan van Konop, über die Jahre besser bekannt als Johnboy Dog, treffe. Er hat sich nicht sonderlich herausgeputzt: Das alte AwA-Shirt trägt er genauso wie das allfällige Basecap, ohne das er außerhalb des Ringes eigentlich unvorstellbar ist. Die raspelkurzen Haare, in Ehren ergraut, verschwinden darunter. Die dunklen Jeans und die dazu passenden Slipper dürfen auch nicht fehlen, ebenso wie die teuer ersparte Breitling am rechten Handgelenk.
Als er mich sieht, richtet sich der Kopf und ein Lächeln zaubert sich auf die Züge des etwas ausgemergelt wirkenden Gesichts. Sekunden später bestellt er einen Kaffee für mich und bekommt von mir ein Dankeschön. Sich die Hand zu geben scheint selbstverständlich und auch wir machen da keine Ausnahme. Nach einigen Minuten des lockeren Plausches und der Information darüber, dass er in zwei Stunden wohl wegmüsse, was ich mit einem „kein Problem!“ beantworte, kann ich endlich das Aufnahmegerät – es ist etwa so groß wie eine Zigarrettenschachtel – auf dem Tisch platzieren und anmachen. Ich führe selten Interviews in der Öffentlichkeit und so habe ich ein wenig Sorge um den Ton. Letztlich aber bin ich guter Dinge, dass alles gutgehen wird.
F: „Du bist jetzt seit etlichen Jahren im Business, ich selbst verfolge das seit gut zwanzig Jahren. Warum hast Du mit dem Wrestling angefangen, wie wurdest Du zu dem der Du bist und wie lange willst Du das noch machen?“
Der Mann, der eigentlich unter die Nichtraucher und –trinker gegangen ist, zündet sich einen sehr tödlich aussehenden Glimmstengel an. Scheint also eine längere Antwort zu werden. Und tatsächlich lehnt er sich etwas zurück und hält den Blick leicht in Richtung Himmel gerichtet.
A: „Nun…..angefangen habe ich damals, weil schon mein Vater im Business war. Wir sind damals weit draußen aufgewachsen und da war Wrestling eine der Hauptattraktionen. Mein Vater Rick war ein recht erfolgreicher Ringer und ging schließlich zum Schaukampf, wie man das damals oft nannte. Irgendwann, ich war etwa fünf, nahm er mich das erste Mal mit. Von da an war ich eigentlich immer dabei. Ich fand das sehr faszinierend, wie diese großen Männer – ich war ja gerade mal nen Meter oder sowas groß – da solch tolle Aktionen zeigten. Und besser: Einer davon war mein Dad! Und er war, jedenfalls nach dem was ich damals sah und heute weiß, alles andere als unerfolgreich.“
Gebannt habe ich an den Lippen des Mannes gehangen, der mein Vater sein könnte. Und beobachte ihn, wie er eine kurze Pause macht. Einen Zug nimmt, einen Schluck Kaffee trinkt…und weitererzählt.
A: „Er hat mich nach den Shows, bei denen die ich dabei war, immer mitgenommen und den Jungs vorgestellt, die ich noch nicht kannte. Franky Lanza, Superior Guy und wie sie alle hießen. Und ich habe, wann immer ich wollte, ein Autogramm auf ein Basecap des jeweiligen Veranstaltungsortes bekommen. Diese Caps habe ich heute noch, es dürften um die zweitausend sein, was ja auch bedeutet, dass ich sehr viel Shows bis Mitte der Siebziger besucht haben muss. Gerade die Shows in den Niederlanden Anfang der Siebziger waren richtig gut und manchmal denke ich, dass sich unsere Generation und jene, die danach kamen, etwas davon abschneiden könnten. So eine Ekstase und Freude habe ich danach erst wieder in Japan erlebt.“
1971 zog es die kleine Familie aus der Gegend um Tulsa nach Roermond, nahe der deutschen Grenze. Während der Vater lediglich im Ring stand und nebenbei Catchunterricht gab, war Mutter Beth vollkommen mit dem Hüten fremder Kinder beschäftigt und arbeitete an der Internationalen Schule in Roermond. Das behielt sie auch bei, als man den kurzen Weg über die Grenze machte und sich in Emmerich am Rhein niederließ. Nicht einmal drei Monate später, Ende 1972, zog man nach Hamburg, wo man erst einmal eine kleine Weile blieb.
A: „Als ich nach Hamburg kam, sprach ich viel besser Deutsch als mein Vater. Erst später habe ich realisiert, dass es wohl tatsächlich so ist, dass man als Kind schneller und unbefangener lernt. Rick hat sich mit der Sprache immer sehr schwergetan und sie vermieden, wo er konnte. Innerhalb der Familie blieb Englisch DIE Sprache und so wuchs ich mehr oder minder zweisprachig auf: Innerhalb des Hauses Englisch, draußen und vor allem in der Schule war Deutsch die bevorzugte Sprache. Mir hat dabei sehr geholfen, dass ich auf eine ziemlich normale Schule gehen konnte. Für die meisten Mitschüler war Englisch eine fremde Sprache, die viele aber faszinierend fanden. Ich habe so schon mit knapp zehn Jahren Kinder Nachhilfe gegeben, die viel älter waren als ich. Lehrer taten sich damals sehr schwer, diesen Stoff zu vermitteln.“
Ich habe schon längst gemerkt, dass es besser ist, wenn ich ihn einfach reden lasse. So unterbreche ich ihn auch nicht, frage aber auch nicht weiter nach. Auch wenn es mir förmlich unter der Zunge brennt und ich allein jetzt mindestens zehn verschiedene Fragen stellen könnte – Sinn würde das zwar schon machen, das Gespräch aber vielleicht in eine Richtung führen, die es nicht verdient hat. Endlich scheint es weiterzugehen. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, in den Sprechpausen auch auf Pause zu drücken? Aber vielleicht würde ihn das unnötig irritieren. Also lasse ich es einfach so, wie es ist.
A: „Ich kann mich an eine Begebenheit erinnern, da war ich zwölf….oder dreizehn? Auf jeden Fall waren wir noch in Hamburg. Einer der örtlichen Catcher namens Fred Stahlmann hatte einen Sohn, Tobias hieß der. Wir waren wie gesagt ziemlich jung und der Junge hatte ein Moped. Ich damals nicht und so war ich schon ziemlich scharf darauf, mal mit diesem Ding fahren zu können. Wir haben uns dann mit ein paar Bekannten getroffen und das gemacht, was man heute Backyardwrestling nennen würde. Wir waren nicht gut, aber hatten Spaß – und verletzt hat sich niemand. Glücklicherweise. Ich war am Ende siegreich und durfte das Moped, eine Vespa war’s glaube ich, fahren. Und ehrlich…ich bin nicht weit gekommen! Angefahren, Gas aufgedreht und im nächsten Moment zerreißt’s mit einem fürchterlichen Knallen die Kette und ich lande im Graben! Ich habe mir dabei den Knöchel beinahe gebrochen und wir haben uns mitten in der Nacht nach Hause geschlichen. Als ich in den Spiegel sah, sah ich fürchterlich aus! Als wäre ich Kopf voran durch eine ganze Baumgruppe geflogen, hätte dabei noch den Brennesseln guten Tag gesagt und danach eine Schlammpackung genommen. Seit diesem Tage hat man mich auf keinem Zweirad mehr gesehen und ich denke, für dieses Leben wird’s das dann auch gewesen sein.“
Stille. Ich drehe mich wieder zu ihm und öffne die Augen, nachdem er zu sprechen aufgehört hat. Er sieht ziemlich zufrieden aus und wenn man diese Schilderung hört, kann ich das sogar ein wenig verstehen. Aber ich bin neugierig geworden und hoffe, dass ich ihn nicht überfalle, wenn ich den Dreh wieder zum Thema Wrestling zu lenken versuche.
F: „Wie war denn dein erster Auftritt im Ring? Und bei welcher Begebenheit?“