Als Wrestler ist der Pheasant Warrior eigentlich an Schmerz gewöhnt und müsste mit ihm umzugehen wissen. Bei seiner Arbeit im Ring ist er tagtäglich Angriffen ausgesetzt, die einem normalen Menschen die Schwärze ist in die Augen treiben würden. Verletzungen sind an der Tagesordnung - ohne dass sie ein Grund wären, eine Pause einzulegen. Ja, der Krieger hat gelernt, wie er selbst die größten Cruxen aushält.
Doch dieser Schmerz ist anders. Kein kurzes Aufflackern der Pein bei einem Körpertreffer. Nicht die höllische Qual, die man in einem Aufgabegriff erleidet. Auch nicht vergleichbar mit dem atemraubenden Aufprall bei einem Sturz. Dieses Martyrium zehrt an den Kräften, bringt den Körper, vor allem aber auch die Psyche, bis an die äußerste Grenze...


Seit Tagen hat der Pheasant Warrior im Rahmen seiner dritten Lektion keine Nahrung mehr essen dürfen. Der Hunger nagt an den Nerven, sein Magen gibt ihm keinen Augenblick der Ruhe mehr. Nur das nötigste an Wasser wird ihm gereicht, zumeist leidet er neben Hunger und der Schwäche auch an einem grauenhaften Durst. Es fühlt sich an, als würde sich sein ausgetrockneter Körper bei lebendigem Leibe zusammenziehen.
Bloß selbst Hunger und Durst wären auszuhalten, wenn nicht der zweite Teil der Aufgabe ihn langsam endgültig an den Rande des Aufgebens zwingt: Schlaflosigkeit. Da es in dem Raum, in dem er seine Tage verbringt, kein Fenster gibt, kann der Krieger die Zeit nicht einschätzen, die er schon wach ist. Kein Morgen, kein Abend. Lediglich der Biorhythmus seines Körpers gibt ihm halbwegs Auskunft darüber, wie lange er schon hier drinnen ist. Immer wieder droht die Müdigkeit, ihn zu übermannen. Nur der Gedanke, die Angst, er könne in der Ausbildung scheitern lässt ihn noch wach bleiben.

Seine einzige Beschäftigung ist das Lesen der alten Schriften, von denen ihm der Wächter reichlich gegeben hatte. Zunächst hatte er die Werke verschlungen, erzählten sie doch von glorreichen Heldengeschichten um Armondo und die anderen Fasanenkrieger, deren Taten teils schon hunderte von Jahren zurücklagen. Beim Lesen der Worte fühlte er sich von Ehrfurcht überwältigt, sein Herz pochte bis zum Hals und die Haut an seinen Armen stellte sich auf. Doch nun, nach mehreren Tagen ohne Schlaf und Nahrung, kann er sich kaum noch konzentrieren. Die Buchstaben verschwimmen vor seinen Augen, der Inhalt wird von ihm kaum noch aufgenommen. Mehrmals hat er sich schon dabei erwischt, wie der Kopf langsam zu sinken beginnt. Doch mit allerletzten Willenskraft konnte er den Schlaf bislang abwehren. Bloß weiß er nicht, wie lange er noch durchhalten...

Er hört die Schritte vor der Tür gerade noch rechtzeitig. Sie geben ihm einen letzten Schub des Wachseins. Ansonsten wäre er wohl in den nächsten Augenblick ins Reich des Schlafes abgeglitten. Nun probiert er sich, so gut wie möglich, aufzurichten. Dazu stützt sich der Kreiger auf dem einfachen Holztisch ab, der in der derzeitigen Lage fast schon als einladendes Bett durchgehen würde.
Mit einem Knirschen wird die Tür geöffnet. Wie so oft in den letzten Tagen – Routine zur Kontrolle. Der Pheasant Warrior dreht seinen Kopf dorthin, wo der Wächter gerade eintritt. Mit einem respektvollen Nicken grüßt er dem alten Mann. Kaum ein Wort würde noch gut hörbar aus seinem vertrockneten Mund kommen. Nun blickt er den Wächter erwartungsvoll an. Erstaunlicherweise kann er kein Wasser in dessen Händen entdecken – muss er womöglich noch länger dursten?

Wächter: „Die Aufgabe ist bestanden. Herzlichen Glückwunsch?“

Ein Impuls lässt den Warrior fast ein respektloses „WAS!?“ sagen. Doch der Maskierte besinnt sich im letzten Augenblick. Er zwinkert ungläubig, dann realisiert er langsam, was der Wächter eben gesagt hat. Die Marter der letzten Tage, er weiß nicht wie viele es waren, scheint vorbei zu sein. Wieder Essen. Wieder Schlafen. Es klingt nach den Stunden des Entzugs wie ein Wunschtraum. Er vermutet, dass er in diesem Augenblick etwas sagen müsste. Doch ihm fehlen die Worte, er weiß nicht so recht, was in dieser Situation zu formulieren ist. So sitzt er da und wartet wie ein Schuljunge, dass sein Lehrer ihn in die Bahnen lenkt.

Wächter: „Komm mit.“

Gehorsam steht der Krieger auf. Im ersten Moment fühlt er sich wackelig, als er seinem Trainer durch die Gänge führt. Jeder Schritt ist mit seiner Schwäche eine neue Kraftanstrengung. Er hofft inbrünstig, dass er gleich zur Ruhe kommen kann. Doch mit Erschrecken muss er feststellen, dass der Wächter zügigen Schrittes das Haus verlässt. Wortlos bleibt ihm der Krieger auf den Fersen. Wohin gehen sie? Alles, was der Guatemalteke in diesem Augenblick will, ist doch nur ein Bett und etwas Essen sowie Trinken. Stattdessen entfernt sich das Gespann mehrere Meter vom Haus. Sie folgen einem steinigen Pfad, der dem Maskierten bislang erstaunlicher verborgen blieb. Andererseits bot sich auch nie die Gelegenheit, die Umgebung zu durchstreifen. Nun fällt ihm auf, dass ein kleiner See, kaum mehr als eine Pfütze, zwischen Buschwerk verborgen liegt. Vorsichtig streift der Wächter ein paar Sträuche zur Seite und symbolisiert seinen Lehrling, die letzten Meter bis zur Wasserfläche durchzuschlüpfen. Der leicht verschwommene Blick des Kriegers fällt auf das fast durchsichtige Wasser. Kaum mehr als ein paar Meter Durchmesser liegen vor ihm. Ein Kopfschwenken, dann erkennt PW zwei große Bottiche. Holt der Wächter hier etwa sein Trinkwasser? Man kann sich kaum vorstellen, dass er in seinem Alter die Behälter zu tragen vermag, wenn sie gefüllt sind.

Wächter: „Fülle sie mit Wasser.“

Alles in seinem Kopf will im ersten Moment widersprechen. Er ist komplett am Ende, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Und nun soll er noch Wasser holen und zum Haus tragen? Doch der Gedanke an die Ausbildung lässt ihn die finalen Kraftreserven mobilisieren. Unter Anstrengung tut er, was der Wächter ihm geheißen hat.

Wächter: „Du hast drei Lektionen bestanden, junger Krieger. Ich sehe, dass du mit großem Herz dabei bist.“

Dankend nickt der Maskierte.

Wächter: „Die Entbehrungen der letzten Tage waren eine Qual. Doch ich bin mir sicher, dass du an ihnen gewachsen bist. Es ist so, dass ein guerrero del faisan stets bereit sein muss, die beste Leistung zu bringen. Man kann sich nicht immer vorbereiten auf eine Herausforderung. Das musst du verstehen.“

Abermals stimmt der PW mit einer Kopfbewegung zu.

Wächter: „Ich hoffe, du hast mich verstanden. Denn wir schreiten direkt mit der vierten Lektion fort.“

Nein! Das muss ein Alptraum sein. Wie soll er in seinem derzeitigen Zustand eine weitere Lehre bestehen? Doch offensichtlich meint es der Wächter todernst. Seufzend beugt sich der Maskierte in sein Schicksal.

Wächter: „Deine vierte Aufgabe nennt sich Lektion der Kraft. Natürlich muss ein echter Krieger stets Kraft besitzen. Doch das ist nicht genug. Er muss in der Lage sein, diese Kraft immer und überall abrufen zu können. Selbst, wenn er glaubt, dass er eigentlich am Ende seiner Stärke ist. Ich bin mir sicher, dass du hungrig bist?“

Der plötzliche Themenwechsel verwundert. Doch trotz der trockenen Kehle zwingt sich der Angesprochene zu einem krächzenden „Ja.“

Wächter: „Wir werden einen Lauf ins Dort unternehmen. Dort habe ich veranlasst, dass ein großes Mahl mit Tanz und Gesang veranstaltet wird. Du freust dich, nicht wahr?“

Und wie! Der Maskierte kann es kaum erwarten. Nicht nur, dass er dort endlich den Hunger stillen wird, auch die Gesellschaft wird ihm nach all der Anstrengung gut tun. Lediglich etwas Rast hätte er vorher gebrauchen können.

Wächter: „So lass' uns aufbrechen. Doch vergesse nicht die Lektion der Kraft, junger guerrero. Nimm' dies.“

Der alte Mann greift nach einem großen Stock, den er unter die Griffe der Bottiche schiebt. Langsam schwant dem Krieger, was ihn erwartet. Mit dieser Vorrichtung kann er, je ein Eimer links und rechts, die schweren Wasserbehälter auf den Schultern tragen. Ihm zittern nun schon die Knie vor Anstrengung. Wie soll ihm die Aufgabe nach Schlaf- und Essenentzug gelingen?

Wächter: „Du wirst sicher wissen, was deine Aufgabe ist. Ich gehe voran. Folge mir.“

Und damit macht er den ersten Schritt. Der alte Mann wartet nicht einmal darauf, dass sein Lehrling losläuft. Dieser ist am Verzweifeln. Vollkommen am Ende. Er kann sich nicht vorstellen, wie er die Kraft noch mobilisieren soll. Ernüchterung macht sich in seinem Kopf breit.

Wächter: „Solltest du die Aufgabe nicht bestehen, wird die Ausbildung hiermit beendet sein. Nur die Stärksten können guerreros sein.“


Die Aussage hallt im Kopf des Maskierten nach. Eigentlich war klar, dass im Falle des Scheiterns passiert. Doch es nun noch einmal aus dem Mund des Wächters zu hören, scheint einen Schalter umzulegen. Für einen Moment ist die Müdigkeit wie weggewischt. Das Hungergefühl verdrängt. In einer Impulshandlung greift der Krieger nach der Vorrichtung und hievt sie auf seinen Rücken. Das Gewicht lastet schwer auf den Schultern, das Wasser schwankt bis an den Rand der Bottiche.

Es wird ein langer Marsch. Doch er darf nicht versagen...