RTL2-Sendereihe "Tatort Internet" sorgt weiter für Kritik
Die RTL2-Sendereihe "Tatort Internet" gerät immer stärker in die Kritik. Nach Recherchen der Münchener Süddeutschen Zeitung ist ein 61-Jähriger, der in "Tatort Internet" beim Treffen mit einem vermeintlich 13-jährigen Mädchen gezeigt worden war, am vergangenen Freitag von seiner Familie als vermisst gemeldet worden. Der Caritas-Mitarbeiter und Kinderdorfleiter habe gegenüber seinem Arbeitgeber am Donnerstag zugegeben, in einem Internetchat mit anzüglichen Bemerkungen Kontakt zu dem Mädchen aufgenommen zu haben.
"Die Familie ist in großer Sorge", sagte der unterfränkische Caritas-Vorsitzende Clemens Bieber zu sueddeutsche.de. Bieber sei empört, weil die Redaktion von "Tatort Internet" weder die Caritas noch die Behörden über das Fehlverhalten des Mannes informiert hatte – und das fünf Monate lang. Die belastenden Aufnahmen mit versteckter Kamera waren bereits im Mai beim Ökumenischen Kirchentag in München entstanden. "Es stellt sich die Frage, ob es dem Sender wirklich um den Schutz der Kinder geht oder doch nur um die Einschaltquote", sagte Bieber dem Bericht zufolge.
In "Tatort Internet" gibt sich eine Journalistin in Chats als Mädchen aus und lockt vermeintliche Sexualstraftäter zu persönlichen Treffen. Dort werden die Männer dann vor laufender Kamera zur Rede gestellt. Die für den Privatsender zuständige Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien überprüft mittlerweile, ob bei dem Format medienrechtliche Vorgaben eingehalten werden. Dabei gehe es vor allem um den Jugendschutz sowie um die Persönlichkeitsrechte von Opfern und mutmaßlichen Tätern.
Das Konzept der Sendereihe wird audrücklich von Stephanie zu Guttenberg, der Frau des Bundesverteidigungsministers, unterstützt. Man wolle auf die Gefahren des "Cyber-Groomings", also der sexuellen Kontaktanbahnung mit Kindern und Jugendlichen im Internet aufmerksam machen. Erklärtes Ziel der Sendungen ist es, "auf eine gesetzliche Neubewertung dieser Taten hinzuwirken."
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet in seiner am morgigen Montag erscheinenden Ausgabe, dass führende Strafrechtler einer Ausweitung der Strafvorschriften zur Kontaktanbahnung zwischen Pädophilen und Kindern im Internet skeptisch gegenüberstehen. "Von bestehenden Schutzlücken kann keine Rede sein", sagte demzufolge der Hallenser Strafrechtsprofessor Joachim Renzikowski. Das "Cyber-Grooming" sei bereits jetzt strafrechtlich erfasst; dabei drohten Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren.
Auch Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, halte "aus rechtlichen und praktischen Gründen" wenig von Verschärfungen. Zurückhaltung sei schon deshalb geboten, sagte laut Spiegel der Konstanzer Strafrechtler Jörg Eisele, weil es um bloße Vorbereitungshandlungen gehe; schon im geltenden Recht gebe es eine solche "extreme Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes" wie sonst nicht einmal bei Mord. Bereits jetzt sei "rational kaum nachvollziehbar", dass die versuchte Verabredung im Internet mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werde, die "tatsächliche Verabredung unter Anwesenden" in der wirklichen Welt aber straflos sei. Die von RTL2 angestiftete Diskussion gehe am eigentlichen Problem vorbei, sagte Eisele dem Spiegel: "Da hat man eine Sendung gemacht, ohne vernünftig juristisch zu recherchieren." (hob)
Quelle: Heise.de