Das Internet hat sich nach Meinung von Ethan Zuckerman nicht so ideal entwickelt, wie es sich manche vorgestellt haben mögen. Zuckerman, der am Berkman Center for Internet and Society an der Harvard University forscht und als "digitaler Visionär" bezeichnet wird, sagte in einem Vortrag auf der Konferenz TEDGlobal im britischen Oxford, das Internet habe nicht die Sicht auf die Dinge erweitert, die Menschen konzentrierten sich heutzutage bei der Suche nach Informationen auf Quellen in einigen wenigen wohlhabenden Ländern.
"Das Internet ist nicht zu dem großen Gleichmacher geworden, wie es früher gedacht wurde", sagte Zuckerman laut einem Bericht des britischen Senders BBC. "Wir denken, wir bekämen eine breitere Sicht auf die Welt als vorige Generationen, da sie uns durch Fernsehen, Zeitungen und Internet ermöglicht werde." Doch werde im Gegenteil die Sicht derzeit sogar eingeengt. Die sozialen Netzwerke verstärkten das Problem sogar, da die meisten sich am liebsten mit Menschen ähnlicher Weltanschauung austauschten. Das Internet sei zu groß, um es als Ganzes verstehen zu können. Die Menschen machten sich dennoch davon ein Bild, und zwar eines, das dem ihrer Freunde ähnele.
Zuckerman brachte in seinem Vortrag Beispiele aus der Medienforschung. Als er in den USA aufgewachsen sei, hätten bis zu 40 Prozent der Nachrichten aus Berichten aus dem Ausland bestanden. Momentan betrage der durchschnittliche Anteil internationaler Berichte dort maximal 15 Prozent. Das Internet sei geeignet, das Problem zu beheben, doch die Nutzer verhielten sich nicht so. Sie hätten zwar die Möglichkeit, ausländische Zeitungen zu lesen, doch habe sich beispielsweise in Großbritannien gezeigt, dass 95 Prozent des Datenverkehrs der populären Nachrichten-Sites zu einheimischen Angeboten führe. Dieses Muster zeige sich überall. Die breite Sicht auf die Welt sei nur einen Klick entfernt, aber die Menschen filterten sie aus.
Zuckerman hat sich die Aufgabe auferlegt, die ursprüngliche Vision vom Internet zu verwirklichen. Er ist einer der Gründer des internationalen Blogger-Netzwerks "Global Voices", deren Motto lautet: "Die Welt spricht zu dir, hörst du ihr zu?" Zuckerman geht es darum, die Präsenz von Bloggern insbesondere aus Ländern zu verstärken, die in den Medien unterrepräsentiert sind. Er führte als Beispiel die politischen Vorgänge in Madagaskar im vorigen Jahr an. Damals sei plötzlich ein Netz madagassischer Blogger namens Foko club hervorgetreten, das aus dem Land berichtete, nachdem nach dem Sturz des Präsidenten die meisten Medien des Landes verwiesen worden seien. Ein weiteres Beispiel sei das chinesische Netzwerk Yeeyan, in dem 150.000 Freiwillige daran arbeiteten, Medienberichte aus westlichen Ländern zu übersetzen und täglich 50 bis 100 Übersetzungen herauszubringen. Zuckerman regte an, ein ähnliches Netz aufzubauen, um chinesische Artikel ins Englische zu übertragen. (anw)
Quelle: Heise.de