Während sich die Kinowirtschaft auf der Film- und Technikmesse Cinema Expo in Amsterdam frenetisch feierte – 2010 schickt sich dank 3D an, das lukrativste Jahr in der Geschichte der großen Studios zu werden – warnte Paramount-Geschäftsführer Frederick Huntsberry auf der anderen Seite vor einer großen Gefahr: Der illegalen Verbreitung von Filmen. In einem Vortrag gewährte Huntsberry Einblicke in die Arbeits- und Denkweise der Major-Studios.
Huntsberry betonte, dass der Großteil der Filmpiraterie nicht mehr über Peer-to-Peer abgewickelt wird, sondern über Filehoster, von Huntsberry als "Cyberlocker" bezeichnet. Besonders besorgniserregend seien die Streaming-Ableger der Filehoster (zum Beispiel der von Megaupload gegründete Streaming-Service Megavideo); schließlich würde man hiermit auch diejenigen erreichen, denen der Download von Videodateien zu aufwendig und kompliziert ist.
Die Filmpiraterie würde sich gerade "from geek to sleek" entwickeln, von schwierig zu einfach, meint der Paramount-Manager. Kritisch sieht Huntsville zudem die aktuelle Fernseher-Generation, mit der man auf Internet-Plattformen zugreifen kann. Hollywood beobachtet besonders diejenigen Geräte mit Argusaugen, die auf offene Plattformen und nachladbare TV-Apps setzen – schließlich könnten Piraten hier bald Software zur Verfügung stellen, mit denen man kinderleicht auf urheberrechtlich geschützte Videos zugreifen kann.
Steile These: Laut Huntsberry ist Filmpiraterie für das organisierte Verbrechen neben Kinderpornografie und Menschenhandel ein weiterer Geschäftszweig.
Wie leicht das bereits am Rechner geht, demonstrierte Huntsberry dem hauptsächlich aus Kinobetreibern aus ganz Europa bestehendem Publikum in einer Livevorführung. Mit sechs Klicks holte er den gerade erst in den USA angelaufenen "A-Team" in einer abgefilmten Version auf die Leinwand. Huntsberrys Demonstration startete mit der deutschen Google-Suchanfrage "kino und moviestream". Ohnehin finde man über Google auch die meisten illegalen Dateien bei den klassischen Filehostern: "Die größte Leech-Site ist Google", sagte Huntsberry. Weiter betonte er, dass – anders als noch bei Peer-to-Peer – bei der Filmpiraterie über Streaming- und Hostingsites viel Geld verdient würde.
Huntsberrys steile These: Piraterie sei für die organisierte Kriminalität neben Menschenhandel, Identitätsdiebstahl und Kinderpornografie ein weiteres Standbein. Warum solle man Drogen auf der Straße verkaufen, wenn man auch mit Filmpiraterie Geschäfte machen könne, so eine von Huntsberrys rhetorischen Fragen. Er unterstützte seine These mit dem Hinweis, dass laut seinen Informationen der Filehoster Megaupload mit einem geschätzten Gewinn bis zu 215 Millionen US-Dollar von dem wegen Veruntreuung und Insiderhandel zu Bewährungsstrafen verurteilten Hacker Kim "Kimble" Schmitz betrieben würde.
Der Paramount-Manager kritisierte besonders die Praxis der Filehoster, Nutzer mit Geld oder Bonuspunkten zu belohnen, wenn ihre Datei besonders häufig heruntergeladen wird. Diese Boni würden sich ausschließlich an Raubkopierer richten: Wenn man die Seite wie beworben als Backupmedium für eigene Dateien verwendet, bekommt man keine Boni, rechnete Huntsberry vor. Und: Oftmals finde man auf Leech-Sites Werbung für legal operierende Firmen – als kurioses Beispiel zeigte Huntsberry ein Banner der Online-Videothek Netflix auf einer Leech-Site. Allerdings werden solche Anzeigen in den allermeisten Fällen nicht selbst geschaltet, sondern automatisiert über Werbenetzwerke wie dem von Google.
Paramount hofft auf Websperren.
Ein Dorn im Auge ist dem Paramount-Mann außerdem, dass Kreditkartenfirmen sowie Firmen wie PayPal die Bezahlungsmodalitäten für die Hoster abwickeln. Im Gespräch mit heise online sagte der in Deutschland aufgewachsene Huntsberry in perfektem Deutsch, dass man derzeit versuche, Gespräche mit allen Firmen zu führen, die indirekt für Umsatz bei den Filehostern sorgen. Anders als bei Peer-to-Peer-Piraterie gebe es derzeit keine Möglichkeit, die Filehoster-User zu identifizieren, die illegale Dateien von Filehostern herunterladen. Die einzige Chance: Die Filehoster über jede einzelne bei ihnen gehostete illegale Datei zu informieren – laut Huntsberry würde zumindest das gut funktionieren. Wünschen würde er sich langfristig Möglichkeiten wie Web-Sperren auf ISP-Ebene.
Mit einem Geräte namens "Pirate Eye" sollen versteckte Videokameras in Kinos aufgespürt werden. Die Beweisfotos schickt das Gerät per Mail an den Kinobetreiber.
Und auch wenn Huntsberry offen zugab, dass es sich um einen Kampf gegen Windmühlen handelt, führen die Hollywood-Studios den Krieg gegen die Piraten weiterhin an vielen Fronten. Das neueste Gadget gegen die Aufzeichnungen von Filmen im Kinosaal: Das "Pirate Eye". Dabei handelt es laut Huntsberry um eine Technik, die Objektive identifizieren kann – angeblich ist das "Piratenauge" in der Lage, eine Minikamera in einem Getränkebecher aufzuspüren. Eingesetzt worden sei die Technik ursprünglich von Polizeieinheiten, um Scharfschützen bei öffentlichen Auftritten von Politikern zu identifizieren. Sobald das "Pirate Eye" ein Objektiv detektiert, werde ein Foto davon per E-Mail an den Kinobetreiber geschickt, dieser könne den filmenden Übeltäter dann von der Polizei festnehmen lassen – zumindest in den USA, denn dort sei im Unterschied zu einigen europäischen Ländern das Abfilmen im Kino ein Straftatbestand.
43 solcher "Pirate-Eye"-Boxen seien derzeit vom Studioverbands MPAA und ihren Mitgliedsstudios im Einsatz. Eine flächendeckende Ausstattung mit den Boxen schließt Huntsberry derzeit noch aus, schließlich sei die Technik noch in Entwicklung und zudem sehr teuer. Verwendet wird das Gerät daher nur dann, wenn Informationen vorliegen, dass Piraten hier mit der Kamera tätig werden wollen. Wo man diese Informationen beziehe, wollte Huntsberry auf Anfrage nicht mitteilen.
Außerdem im Pirateriebekämpfungsarsenal: Fingerprinting, also die Erkennung der Quelle anhand spezieller Charakteristika sowie Wasserzeichen. Welche Quellen mit Wasserzeichen versehen werden, blieb ein Betriebsgeheimnis. Aus rechtlichen Gründen schwierig sei das in Umlauf bringen von "Decoys", also falsch deklarierten Dateien. Huntsberry ist hier aber zuversichtlich: "In diesem Bereich wird es in Zukunft von uns interessante Möglichkeiten geben."
Auch seine eigene Branche bekam ihr Fett weg: Das Design der illegalen Leech-Sites sei oft deutlich besser als das legaler Video-on-Demand-Seiten; ganz zu schweigen von der Übersichtlichkeit, so Huntsberry. Und noch etwas erkannte er als Problem an: Während viele US-Serien direkt nach der Erstausstrahlung in den USA über legale Video-on-Demand-Anbieter zu beziehen sind, müssen europäische Fans meist auf die DVD oder Blu-ray warten – und auch die gibt es oft nur als Importware. Illegale Angebote locken dagegen mit sofortiger Verfügbarkeit und perfekter HD-Qualität. (jkj)
Quelle: Heise.de