Beobachter sind sich einig, dass die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Patentierbarkeit eines computergestützten Verfahrens Programme für Datenverarbeitungsanlagen schier uneingeschränkt für schutzwürdig erklärt. "Wenn mittlerweile Selbstverständlichkeiten wie konzeptionelle Überlegungen zur 'Anpassung an die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage' als technisch gelten sollen, muss man fragen, welche Software denn als nicht mehr patentierbar gelten soll", sagte Johannes Sommer vom Bundesverband Informations- und Kommunikationstechnologie (BIKT) gegenüber heise online. Mit dem Beschluss werde der gesetzlich verankerte Patentierungsausschluss weiter ausgehebelt, das Patentrecht gegenüber dem Urheberrecht im Bereich der Computerprogramme aufgewertet.
"Dieses Urteil ebnet den Weg, um einen Großteil der heute stattfindenden Datenverarbeitung zu monopolisieren", monierte der Diplom-Informatiker Benjamin Stöcker aus dem Bundesvorstand der Piratenpartei. Das Gericht wolle Patente gewähren, die die Leistungsfähigkeit der Hardware berücksichtigten. "Das ist, als würde man Autos schon deswegen patentieren können, weil sie Räder haben." Software sei aber ein gesellschaftlich extrem wichtiges Werkzeug, das nicht durch Patente monopolisiert werden dürfe. Der Gesetzesgeber müsse daher endlich Klarheit schaffen und ein Verbot von Softwarepatenten in Gesetzesform gießen. Der BIKT und der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) fordern, dass Bereiche, die beim Patentschutz außen vor bleiben sollen, gesetzlich festgelegt werden.
Paragraph 1 Absatz 3 des Patentgesetzes schließt im Einklang mit Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" beziehungsweise Software "als solche" von der Patentierbarkeit aus. Der BGH hat diese Bestimmung jahrzehntelang vor allem mit der Ansage durchgesetzt, dass eine Erfindung Auswirkungen auf die physikalische Umwelt unter Einsatz "beherrschbarer Naturkräfte" haben müsse. Nur dann sei sie als technisch einzustufen und stehe damit prinzipiell einem Patentschutz offen. Ein Computerprogramm allein kann Naturkräfte aber nicht planmäßig einsetzen, sondern nur eine Software zusammen mit einem traditionellen technischen System.
Noch Ende vergangenen Jahres hatte der BGH unter dem Einfluss der bisherigen, maßgebend von Klaus-Jürgen Melullis als ehemaligem Vorsitzenden des entscheidenden Senats des Gerichtshofes geprägten Linie unterstrichen, dass ein Programm, das nicht "der Lösung eines über die Datenverarbeitung mit einem Computer hinausgehenden technischen Problems dient", auch nicht schutzwürdig sei. Mit dem aktuell vorgelegten Beschluss über einen Patentanspruch von Siemens erkennen die BGH-Richter nun eine Lösung eines technischen Problems, wenn die bessere "Ausnutzung begrenzter Ressourcen eines Servers" erreicht wird. Dies bedeute letztlich, dass jeder Programmierer, der seinen Job richtig erledige, permanent "potenziell patentierbare Sachen hervorbringt" meint der Patentblogger Florian Müller. Wenn die Hürde der Schutzwürdigkeit derart abgesenkt werde, könne eine entwickelte Software potenziell "Hunderttausende Patente" Dritter verletzen.
Der BGH schwenkte auf den Kurs des Europäischen Patentamtes (EPA) ein. Die Technischen Beschwerdekammern des EPA legen das EPÜ seit Jahrzehnten so aus, dass sie Monopolansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" zulassen. So gehen sie etwa bei der "Verbesserung des Kontrastes" eines Bilds oder bei der effizienteren Aufteilung von Arbeitsspeicher durch eine auf einem Computer laufende Software von einem "technischen Effekt" aus, der schutzwürdig sein könne. In einer entsprechenden Entscheidung ist zu lesen, dass jeder auf einem Computer ablaufende Prozess und jeglicher materielle Prozess bis hin zum Niederschreiben von Gedanken mit Bleistift auf Papier technisch sei. Die Große Beschwerdekammer des EPA bestätigte vergangene Woche diese Linie.
Für Rasmus Keller, einen auf IT spezialisierten Rechtsanwalt, zeigt die BGH-Entscheidung, dass sich die Patentierbarkeit im Bereich der Computerprogramme mit dem Technizitätsbegriff nicht rechtssicher bestimmen lasse. Der Blick auf dieses "rein formale Kriterium" lenke von der entscheidenden inhaltlichen Frage ab, ob der Patentschutz von Software rechtlich notwendig sei. Diese sei zu verneinen, wenn eine entsprechende Problemlösung "nur von einem Computer ausgeführt" werden könne. Der Urheberrechtsschutz oder das Wettbewerbsrecht biete ausreichenden Schutz vor Nachahmung.
Der Münchner Patentanwalt Andreas Bertagnoll meinte, der BGH habe im Kern nur einer speziellen Schlussfolgerung der niederen Instanz widersprochen. Letztlich habe er aber "die bisherige Rechtsprechung bestätigt" und klargestellt, dass für die Patentierbarkeit von Software "ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln zu lösen sei". Konzeptionelle Überlegungen allein seien dafür nicht ausreichend. (Stefan Krempl) / (anw)
Quelle: Heise.de