Bundes- und EU-Politiker der Grünen haben Kernargumente aus einem Positionspapier des Bundesverbands der Musikindustrie gegen eine Kulturflatrate als "unsachlich und haltlos" zurückgewiesen. Die von der Partei zur Diskussion gestellte Pauschalgebühr zur vollständigen Legalisierung von Filesharing könne mitnichten als Kapitulation "vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt" bezeichnet werden, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme, die unter anderem Malte Spitz als Mitglied des Bundesvorstands der Grünen, die Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Konstantin von Notz sowie der EU-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht unterzeichnet haben.
Die Thesen der Musikindustrie werfen zwar "einige berechtigte Fragen" auf, räumen die Grünen ein. Insgesamt manifestiere sich darin aber nur ein "diffuses Gefühl" des "Dagegen". Die Verfechter der Kulturflatrate kontern, dass deren Gedanke im Wesentlichen dem der Leermedienabgabe entspreche. Diese diene dazu, die nicht-kommerzielle Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke auszugleichen. Die Flatrate wäre eine "konsequente Weiterführung dieser urheberrechtlichen Praxis". Die Vergütungsfrage sei "ein Teil der Diskussion um die Zukunft des Urheberrechts" und diese müsse nun "endlich gesamtgesellschaftlich geführt werden, da die derzeitige Lage für alle Seiten unbefriedigend sei. Ein "fertiges Modell" gebe es noch nicht. Es bringe daher auch nichts, Konzeptionsansätze als "abschließende Ausgestaltung" darzustellen.
Im Einzelnen gehen die Grünen zunächst mit einem der Kernpunkte der Musikindustrie konform, dass "kollektive Abgaben nicht per se fair" seien. Über zehn Millionen Deutsche nutzten aber das Internet, um "legal und illegal Musik herunterzuladen". Rechtswidrige Downloads zögen sich dabei "quer durch die gesamte Bevölkerung". Nicht immer sei den Verbrauchern etwa beim Streaming bewusst oder erkennbar, ob Dienste legal seien oder nicht. Zudem seien einer schwedischen Studie zufolge 86 Prozent der Befragten breit, für eine Flatrate im Musikbereich zu zahlen.
Weiter betont die Stellungnahme, dass die neue Pauschalgebühr das Marktprinzip nicht abschaffe. Von einer "Verstaatlichung der Kreativwirtschaft" könne keine Rede sein. Zum einen gehe es nur um die private Nutzung. Hier seien die Plattenfirmen gefordert, "Mehrwertdienste zu entwickeln, welche über die Distributionsfunktion hinausgehen". Der Erfolg von Streaming-Plattformen wie Spotify sei ein Beleg dafür, dass "Konkurrenz mit kostenlosen Diensten wie P2P-Tauschbörsen erfolgreich sein kann". Trotzdem sei davon auszugehen, dass eine gewisse Menge nicht-kommerzieller Vervielfältigung im Netz "nicht mit verhältnismäßigem Aufwand zu verhindern ist". Hier müsse die Pauschalvergütung im Interesse der Urheber greifen. Zu einer "Entwertung geistigen Eigentums" führe das Modell so gerade nicht.
Von einer Kulturflatrate betroffen sehen die Grünen derzeit die rund 67 Prozent der Gesamtbevölkerung, die über feste Breitbandanschlüsse verfügten. Für Deutschland gebe es bisher keine Berechnungen für die Höhe der Monatspauschale. Schätzungen der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) auf rund 70 Euro seien aus der Luft gegriffen gewesen. Da es nicht darum gehe, den Verkauf von Kulturgütern zu ersetzen, sei es nicht nötig, Abgaben in Höhe der Umsätze sämtlicher Kulturindustrien zu erheben und damit eventuell sozial Schwache zu benachteiligen. Die Flatrate verflache zudem keineswegs die Kultur, da die Ausschüttung der Einnahmen nicht allein nach der Anzahl von Downloads bemessen werden sollte.
Auch den Aufbau eines gigantischen Bürokratie- und Verwaltungsapparates halten die Grünen zur Abwicklung der Downloadvergütung für unnötig. Die Infrastruktur dafür bestehe bereits in Form von Verwertungsgesellschaften und der Zentralstelle für Überspielrechte, auch wenn deren Reform weiter voranzutreiben sei. Insgesamt könne von einem "volkswirtschaftlich positivem Effekt ausgegangen werden: Eine Entkriminalisierung der Tauschbörsennutzer entlastet die Gerichte ebenso wie Staatsanwaltschaften und Polizei."
Letztlich werden dem Papier zufolge auch die Rechte der Künstler an der kommerziellen Verwertung ihrer Werke nicht tangiert, wie ein Rechtsgutachten nachgewiesen habe. Eine Anpassung der EU-Urheberrechtsrichtlinie sei zwar nötig, generell sei die Flatrate aber mit international geltendem Copyright-Verträgen vereinbar. Zum weiteren Vorgehen erklärte Spitz gegenüber heise online, dass die Grünen "die Debatte über ein zukunftsfähiges Urheberrecht und einen fairen Ausgleich zwischen Nutzern und Urhebern dieses Jahr weiter voranbringen" wollten.
Update: Stefan Michalk, Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, hält viele Grundvoraussetzungen der Grünen nach wie vor für "schlicht falsch". In Deutschland gebe es laut aktueller Brennerstudie knapp drei Millionen Personen, "die sich illegal Musik aus dem Internet beschaffen". Bei der Kulturflatrate werde so die große Zahl der rechtstreuen Verbraucher zu Gunsten einer Minderheit mit Umsonst-Mentalität zur Kasse gebeten. Der Vergleich mit der Leermedienabgabe sei zudem "wenig hilfreich". So hätten Künstler und Labels 2008 für rund 370 Millionen CD-Kopien und 26 Milliarden gespeicherte Musikdateien eine Vergütung von rund 30 Millionen Euro erhalten. Wären nur zehn Prozent der vervielfältigten Silberscheiben gekauft worden, wären dagegen über 300 Millionen Euro geflossen. (Stefan Krempl) / (jk)
Quelle: Heise.de